Arealversorgung mit Leuchtturmprojekt

Redaktion
Text | Manuel Pestalozzi    Bilder | Patrick Luethy
Der im November 2024 eingeweihte Neubau auf dem Suissetec-Campus in Lostorf wurde als Leuchtturmprojekt konzipiert. In seinem Lichtstrahl werden jetzt die Bestandsbauten saniert, sodass das erste Minergie-Areal der Schweiz entsteht. Interdisziplinäre Werkstätten oder die Integration von BIM ins didaktische Konzept sind wesentliche Bestandteile des Angebots auf dem Campus. Immer mehr liefert er auch Anschauungsunterricht in Sachen Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz.
Die Nordfassade des grossenteils mit Photovoltaikmodulen verkleideten Neubaus besteht aus lichtdurchlässigen Elementen.

Der Berufsverband Suissetec ging 2003 hervor aus einer Fusion früherer Verbände. Der seit 1981 bestehende Campus am Südwestrand der Gemeinde am Jurasüdfuss ist eines der Bildungszentren von Suissetec. Er versteht sich als ein Ort der Begegnung sowie der Aus- und Weiterbildung. Zum Campus gehören neben den Schulungs- und Seminarräumlichkeiten, Werkstätten und Labors auch zwei sechsgeschossige Hotelgebäude mit 90 Einzel- und Zweierzimmern und insgesamt 152 Betten – sie bieten aktuell eine praktische Übernachtungsmöglichkeit für alle, die mehrtägige Bildungsblöcke und Kurse belegen.

Der Campus, hier mit dem Neubau im Vordergrund, wird zu einem Minergie-Areal.

Neubau mit Werkstätten und Unterrichtsräumen

Vor einigen Jahren stellte Suissetec fest, dass der Campus in Lostorf an seine Kapazitätsgrenzen stösst – nicht zuletzt auch im Zuge der Lehrzeitverlängerung 2020 von drei auf vier Jahre bei den handwerklichen Berufen (Sanitärinstallateur/-in EFZ, Heizungsinstallateur/-in EFZ, Spengler/-in EFZ) und der damit verbundenen Konzentration von spezifischen überbetrieblichen Kursen (z. B. Solar). Aus diesem Grund wurden die Planung eines Erweiterungsbaus im südlichen Teil des Areals und die Sanierung der Bestandsbauten lanciert.

Der realisierte Neubau von Architektur Curcio ist ein Solitär, ein unterkellertes zweigeschossiges Volumen mit einem lang gezogenen rechteckigen Grundriss. Er ist parallel zum bestehenden Hauptgebäude angeordnet, ragt am westlichen Ende etwas über den Nachbarbau hinaus und respektiert das bestehende orthogonale Bebauungsmuster. Auf allen drei Ebenen sind Schulungs- und Übungsräume angeordnet, das Obergeschoss ist eine Galerie entlang der Südfassade, gegliedert in drei Unterrichtsräume, die von der darunterliegenden Halle über separate Treppen direkt erreicht werden können und sich hauptsächlich zu dieser Halle hin öffnen. Die Nordfassade ist über dem Eingangsniveau fast in der gesamten Breite mit transluzenten Elementen verkleidet, punktuell gedeckte Oberlichter versorgen die Galerieräume mit Tageslicht.

Die Halle des Neubaus wird flankiert von einer offenen Galerie, auf die von jedem der drei Teilbereiche eine Treppe führt.

Vom Minergie-A-Gebäude …

Der Neubau entspricht dem Standard Minergie-A. Ein Minergie-A-Gebäude produziert die Energie selbst, übers Jahr gesehen, mehr als es braucht. Bei Minergie-A wird ein Monitoring gefordert, das den Energieverbrauch und die Energieproduktion im Betrieb misst. Um den Anforderungen dieses Standards gerecht zu werden, wurde der Neubau auf dem Campus mit einer dichten, energieeffizienten und aktiven Gebäudehülle ausgestattet: Photovoltaikmodule bedecken fast das gesamte Dach und weite Teile der Fassaden. Sie produzieren über den Jahresverlauf rund doppelt so viel Strom wie benötigt. Suissetec strebt in der Jahresbilanz eine hundertprozentige Eigenenergieversorgung mit erneuerbaren Energien an. Der Campus wird voraussichtlich sogar Strom an lokale Partner liefern können.

Eine wichtige Rolle im Energiemanagement spielt die Hybridbox. Sie wird als «Herzstück» des energetischen Konzepts bezeichnet. Sie ist quasi die eierlegende Wollmilchsau der Gebäudetechnik: In ihr fliessen die Informationen zum aktuellen Energiebedarf (Wärme, Kälte und Strom) zentral zusammen. Sie erzeugt Wärme und Kälte und kann je nach Bedarf Strom produzieren oder Strom nutzen. Mit ihren sechs gestuft zuschaltbaren Wärmepumpen sowie einem Blockheizkraftwerk, auch bekannt als Wärme-Kraft-Kopplungsanlage (WKK), deckt die Hybridbox die diversen und sich dynamisch ändernden Bedürfnisse ab. Zudem erlaubt sie es, zeitnah auf volatile Strompreise zu reagieren: Sind diese hoch, wird der Strom mit der WKK generiert – fallen sie, wird die Wärmepumpe gestartet und die WKK schaltet auf Stand-by. Je nach Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom aus der PV-Anlage kann dieser von der Wärmepumpe ideal genutzt werden. Andererseits lässt sich aber auch Strom exakt zu der Zeit erzeugen, wenn er am meisten benötigt wird (Winterstrom): Darin sieht man eine optimierte Wärmeerzeugung mit maximaler Wirtschaftlichkeit.

Die Südfassade des Neubaus ist «technisch» und weitgehend geschlossen.

… zum Minergie-Areal

Bei den genannten energetischen Massnahmen wurde über den im November 2024 eingeweihten Neubau hinausgedacht. Der Campus mit den bestehenden Werkstätten und den beiden Hotelgebäuden entwickelt sich mit den aktuell durchgeführten Sanierungen der Bestandsbauten zum Minergie-Areal. Das Konzept wurde bereits 2023 von Minergie zertifiziert, das Ensemble in Lostorf ist das erste Minergie-Areal der Schweiz. Als Standard ging das Minergie-Areal aus dem 2000 Watt-Areal-Konzept hervor. Minergie-Areale zeichnen sich aus durch höchste Anforderungen an den Energieverbrauch, die Treibhausgasemissionen und Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien. Ihre Gebäude weisen zudem einen überdurchschnittlichen Hitzeschutz auf. Vorgaben an die klimaangepasste Gestaltung des Aussenraums und Anreize zu einer klimafreundlichen Mobilität sollen ausserdem im Minergie-Areal die Lebensqualität erhöhen.

Bei der Konzeption der genannten gebäudetechnischen Lösungen war es auf dem Suissetec-Campus daher zentral, die Konzepte und Systeme so auszulegen, dass sie auf dem gesamten Areal ­harmonieren. Zusätzlich war die nahe gelegene Kreisschule zu berücksichtigen, die Suissetec über ­einen Wärmeverbund mit Wärme bedient. Für diesen Verbraucher ist weiterhin ein hohes Temperaturniveau unerlässlich. Die Grundlast der Wärmeerzeugung wird durch die bestehende Schnitzelheizung sichergestellt, die perfekt ins neue Energiesystem eingebettet ist. Für die Spitzenlast im Winter und für die hohen Solltemperaturen, welche die Bestandsgebäude auch im Sommer für die Warmwasseraufbereitung benötigen, wurde das Energiesystem mit einem Spitzenlastgaskessel ergänzt. Er arbeitet schon heute ausschliesslich mit Biogas. Das System ermöglicht es, namentlich im Sommer, wenn der Strom der WKK nicht direkt auf dem Areal genutzt werden kann, den Wärmebedarf mittels Wärmepumpe der Hybridbox und des Gaskessels zu decken.

Das Gas stammt zukünftig aus einem Biogaswerk, das ein lokaler externer Anbieter bereitstellt. In dieses Werk werden auch die Küchenabfälle der Campuskantine geliefert – ein weiterer Kreis schliesst sich. Das beschriebene Konzept zeigt auf, wie eine sichere, ganzjährige Energieversorgung, insbesondere in Bezug auf Winterstrom, dank Sektorenkopplung aussehen kann.

Fakten und Daten
Objekt
NameSuissetec Campus
Ort4654 Lostorf
Höhe ü. M.417 m ü. M.
Gebäude
Realisierung (Zeitraum)2023–2024
Anzahl WohnungenWerkstatt, Theorie, technische Labore für überbetriebliche Kurse sowie nichtformale und höhere Berufsbildung der Gebäudetechnik / Gebäudehülle / Solar
EnergiebezugsflächeIndustrie 2‘532.7 m2
Lager 448.0 m2
Schule 514.5 m2
Gebäudehüllzahl Ath/AEIndustrie 1.54
Lager 2.61
Schule 1.48
U-Werte
FensterUw = 0.88
Boden gegen unbeheizt
Boden gegen Erdreich0.095 (mit b-Wert)
Wand gegen aussen0.15–0.176
Dach gegen aussen0.099
Energieversorgung
WärmeversorgungHolzschnitzelheizung, Hybridbox® G240 Wärmekraftkopplung (WKK), Biogas-Kessel, PV-Anlagen Fassade und Dach, Batteriespeicher, Ladestationen E-Mobilität
SonnenkollektorenNein, keine thermische Solaranlage
PV-AnlageDach, 232 kWp, Fassaden 89.2 kWp
LüftungJa
Energieberechnung
Minergie-Teilkennzahlen MKZHeizung Lüftung Klima (kWh/m2) 37.1
Warmwasser (kWh/m2) 4.9
Geräte (kWh/m2) 12.6
AGT (kWh/m2) 10.7
Eigenverbrauch (kWh/m2) -48.0
Netzeinspeisung (kWh/m2) -33.8
Beleuchtung (kWh/m2) 16.0
Wärmebedarf Warmwasser5.61 kWh/m2 a
Heizwärmebedarf8.81 kWh/m2 a (QH,eff,korr)
ZertifizierungMinergie-A und Teil des Minergie-Areals
Kontakte
BauherrschaftSchweizerisch-Liechtensteinischer Gebäudetechnikverband (suissetec),
8021 Zürich
www.suissetec.ch
ArchitektArchitektur Curcio GmbH,
3930 Visp
www.architekturcurcio.ch
BaumanagementS+B Baumanagement AG,
4600 Olten
www.s-b.swiss
Energieplanung/HaustechnikplanungBrunner Aeschlimann
Engineering AG, 4600 Olten
www.a-b-engineering.ch
BauphysikZeugin Bauberatungen AG,
3110 Münsingen
www.zeugin.ch
FassadenplanerPlaneco GmbH,
4142 Münchenstein
www.planeco.ch
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