Kampf den Nebenkosten

Redaktion
Text | Manuel Pestalozzi    Bilder | Beat Bühler
Seit mehr als zehn Jahren realisiert die Stiftung Umwelt Arena Schweiz Bau­projekte, die auf Energieeffizienz getrimmt sind. Als Experimente des nach­haltigen Planens und Bauens erteilen sie Interessierten Anschauungs­unterricht und vermitteln Praxiserfahrung. Das jüngste Projekt ist die kleine Siedlung «Bauen 2050 Urdorf». Ihr Energiekonzept beruht auf einer Palette technischer Massnahmen, es nimmt aber auch die Mieterinnen und Mieter in die Pflicht. Als «Belohnung» winkt ihnen eine Reduktion der Nebenkosten.
Auf vier Regel- und einem Attikageschoss bieten die drei Mehrfamilienhäuser insgesamt 39 Wohnungen. Die Besucherparkplätze sind mit einem stromproduzierenden Belag versehen.
Auf vier Regel- und einem Attikageschoss bieten die drei Mehrfamilienhäuser insgesamt 39 Wohnungen. Die Besucherparkplätze sind mit einem stromproduzierenden Belag versehen.

Die kleine Siedlung befindet sich an leicht erhöhter Lage auf der linken Seite des Limmattals. Die drei fünfgeschossigen Ersatzneubauten führen in der Agglomerationsgemeinde Urdorf, nordwestlich von Zürich, zu einer Verdichtung. Sie reihen sich über der gemeinsamen Einstellhalle entlang einer ruhigen Quartierstrasse auf. Ihr Aussenraum grenzt im Norden an den Campus der Kantonsschule Limmattal. Die ohnehin gute Erschliessung des Quartiers wurde Ende 2022 durch die Eröffnung der Limmattalbahn noch verbessert.

Der Projektname «Bauen 2050 Urdorf» soll seine fortwährende Zukunftstauglichkeit in Erinnerung rufen. Und natürlich auch das Netto-Null-Ziel 2050, das sich die Schweiz auf die Fahnen geschrieben hat. Zu dessen Erreichen will die Siedlung auf verschiedenen Ebenen einen Beitrag leisten. Sie bietet 39 Mietwohnungen, es sind zu je rund einem Drittel Zweieinhalb-, Dreieinhalb- und Viereinhalb-­Zimmer-Einheiten. Die beiden identischen östlichen Häuser haben einen rechteckigen Grundriss. Die zwei gespiegelten Wohnungen in den Regelgeschossen verfügen in den Gebäudeecken über Aussensitzplätze und Balkone, die ins Volumen eingezogen sind. Im westlichsten Gebäude werden pro Regelgeschoss drei Wohnungen erschlossen, ein seitlicher Versatz im etwas längeren Volumen deutet das Ende der Siedlung an.

Abb. links: Die Balkone in den Gebäudeecken werden aus zwei Richtungen besonnt. Abb. rechts: Die Ladestationen für die E-Mobilität befindet sich in der gemeinsamen Einstellhalle. (Quelle: Rene Schmid Architekten AG)
Abb. links: Die Balkone in den Gebäudeecken werden aus zwei Richtungen besonnt. Abb. rechts: Die Ladestationen für die E-Mobilität befindet sich in der gemeinsamen Einstellhalle. (Quelle: Rene Schmid Architekten AG)

Energieautonom bei Wärme und Strom

Alle drei Massivbauten wurden nach Standard Minergie-P-ECO zertifiziert. Sie erhielten eine thermisch optimierte Gebäudehülle mit Steinwolle als Dämmmaterial. Die Fassaden wurden auf allen Seiten mit Photovoltaikmodulen verkleidet. Lisenen und gesimsartige horizontale Bänder gliedern diese hellgrün eingefärbten Stromerzeuger. Sie machen aus den technischen Komponenten Gestaltungselemente, deren Funktion nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Auch die nach aussen weissen Balkonbrüstungen sind solarstromerzeugende Module. Konventionellere, hocheffiziente Modulmodelle auf den Flachdächern komplettieren die Leistung dieses gut verborgenen Kraftwerks. Ergänzend dazu dreht sich, wenn es bläst, egal aus welcher Richtung, auf jedem Dach eine Vertikal-Windturbine. Diese zusätzlichen Stromerzeuger decken bilanziell den Liftstrom der drei Immobilien ab.

In den Wohnungen wurde auf eine gute Tageslichtausbeute geachtet.
In den Wohnungen wurde auf eine gute Tageslichtausbeute geachtet.

Das Adjektiv bilanziell deutet es an: Das Energiekonzept ist auf die Autonomie in der Energiebuchhaltung ausgerichtet, auf eine Null unter dem Strich; die drei Häuser produzieren in der Energiebilanz mindestens so viel elektrischen Strom, wie für ihren Betrieb notwendig ist. Das heisst nicht Autarkie; die Siedlung ist an das allgemeine Versorgungsnetz angeschlossen und kann von dort Energie beziehen oder auch an dieses abgeben. Es ist aber das Ziel, möglichst viel der erzeugten Energie für die direkte Versorgung mit Wärme und elektrischem Strom zu verwenden. Der Gewinnung der Energie stehen vor diesem Hintergrund in der Bilanz der Verbrauch und die Speicherung gegenüber. Beim Bedarf Primärenergie für Heizung, Warmwasser, Hilfs- und Haushaltsstrom beträgt der Bilanzbetrag von «Bauen 2050 Urdorf» gemäss der Stiftung Umwelt Arena Schweiz 0 kWh/m²a.

Die fassadenintegrierte Stromerzeugung ist ein unaufdringlicher Bestandteil der Architektur.
Die fassadenintegrierte Stromerzeugung ist ein unaufdringlicher Bestandteil der Architektur.
Die geschlossenen Fassadenteile produzieren elektrischen Strom. Auch die Balkonbrüstungen bestehen aus Photovoltaikmodulen.
Die geschlossenen Fassadenteile produzieren elektrischen Strom. Auch die Balkonbrüstungen bestehen aus Photovoltaikmodulen.

Hybridbox für alle Szenarien

Für die Heizung und die Warmwassererzeugung sorgen fünf Erdwärmesonden, eine 130 m tiefe Sommersonde und vier 250 m tiefe Wintersonden. Dieses Klimatisierungssystem sorgt auch für die Sommerkühlung der Gebäude. Das als Free­cooling bekannte Verfahren unterstützt die klimatische Regeneration des Erdreichs, sodass es bis zur nächsten kalten Jahreszeit wieder genügend Wärme aufnehmen und speichern kann. Zusätzlich sind die Wohnungen mit Komfortlüftungsanlagen ausgestattet. Ihre Steuerung erfolgt über den gemessenen CO2-Gehalt der Luft, eine Wärmerückgewinnung minimiert den Energieverlust. Eine Wärmerückgewinnung ist auch beim abfliessenden Duschwasser aktiv, bei den Liften erfolgt eine Bremsenergie-Rückgewinnung, was den Standby-Verbrauch reduziert.

Substanzielle Bilanzhilfe erhält das Haustechnik-­System durch die Hybridbox. Als duale Wärmepumpe produziert sie Wärme mithilfe der fünf Erdsonden, der Aussenluft und der Abwärme. Aber sie kann noch mehr: Die Hybridbox wird als eine intelligente, vorausschauende Energiezen­trale bezeichnet; neben der Funktion als Wärmepumpe dient sie auch als Mini-Blockheizkraftwerk. Im Winter produziert sie aus erneuerbaren Gas Strom und Wärme. Das erneuerbare Gas wird, so sieht es das Konzept vor, ausser Haus mit dem überschüssigen Sommerstrom erzeugt. Es ist also ein saisonales Speichermedium. In Urdorf macht das Konzept Sinn, denn in der Nachbargemeinde Dietikon steht die Power-to-Gas-Anlage von Limeco, welche die lokale Kläranlage mit der Erzeugung von erneuerbarem Gas kombiniert.

Mit 75-kWh-Li-Ni-Mn-Kobaltoxid-Akkus verfügt die Siedlung auch über einen Kurzzeit-Stromspeicher. Er leistet einen Beitrag an die Überbrückung von Momenten, in denen an den Häusern wenig oder kein Strom erzeugt werden kann.

Ausstellung in der Umwelt Arena Schweiz
Die langjährige Erfahrung der Umwelt Arena beim Bau und Betrieb von Wohnüberbauungen mit einem hohen Selbstversorgungsgrad wurde in Urdorf konsequent angewendet. Damit möglichst viele Investoren von diesem Wissen profitieren, wurde die Ausstellung «Bauen 2050» in der Umwelt Arena in Spreitenbach konzipiert. Sie zeigt mit einem Baudokumentarfilm und interaktiven Elementen Innovationen rund ums moderne Bauen. Besucher der Ausstellung profitieren aber auch von Tipps für den Alltag, wie man heute gesund lebt, energieeffizient sowie umweltbewusst wohnt und baut. Für Gruppen werden Führungen angeboten.

Mitmachen zahlt sich aus

Dass das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer von Gebäuden einen wichtigen Beitrag an das Gelingen jeglicher Klimabuchhaltung beiträgt, wird bei der Bewirtschaftung von «Bauen 2050 Urdorf» offensichtlich. Die Mieterinnen und Mieter der kleinen Siedlung sind in den Betrieb eingebunden. Die Hausautomation und ein Smart-Home-System versorgt sie laufend mit individuellen Verbrauchsdaten. So werden sie auch sensibilisiert und dazu animiert, über das eigene Verhalten nachzudenken. Das lohnt sich finanziell, denn jeder Wohnung ist ein spezifisches Energieverbrauchsbudget zugesprochen. Es umfasst nicht nur den Verbrauch in der Wohnung selbst, sondern sieht auch ein Budget für E-Mobilitätsstrom vor, der an der Ladestation in der Tiefgarage bezogen werden kann. Wenn die Wohnung das Verbrauchsbudget nicht überschreitet, fallen die Nebenkosten für Wärme und Haushaltsstrom weg. Technische Hilfe zum Erreichen dieses Ziels leisten wetterbedingt steuerbare Sonnenstoren, energieeffiziente, vernetzte Haushaltsgeräte der höchsten Effizienzklasse und die bereits erwähnte Dusche mit Wärmerückgewinnung. Mit dem Minergie-Zertifikats-Zusatz «+ 3 Gewinner» wurde der Einbezug der Bewohnerinnen und Bewohner gewürdigt. Sie sind neben der Umwelt und der Investorin der dritte Gewinner.

Nach rund zwei Jahren Betrieb in Urdorf darf man feststellen, dass sich das Konzept be­-währt. Alle Wohnungen sind belegt, und die Mietparteien halten der Siedlung die Treue. Nur wenige überschreiten das vorgegebene Energieverbrauchsbudget.

Fakten und Daten
Objekt
NameWohnen 2050
OrtUrdorf
Höhe ü. M.406 m ü. M.
Gebäude
Realisierung (Zeitraum)2020 bis 2022
Anzahl Wohnungen49
EnergiebezugsflächeHaus A 1921 / Haus B + C 1397 = 4715 m2
GebäudehüllzahlHaus A 1.16 / Haus B + C = 1.2
U-Werte
Fenster1.00 W/m2 K
Boden gegen unbeheizt0.13 W/m2 K
Wand gegen aussen0.17 W/m2 K
Dach gegen aussen0.11 W/m2 K
Energieversorgung
WärmeversorgungHybridbox
(Wärmepumpe / Gas Blockheizkraftwerk)
Sonnenkollektorenkeine
PV-AnlageFassade: 104 000 kWh/a
Dach: 90 000 kWh/a
Nebengebäude + Bodenbeläge: 12 100 kWh/a
WindkraftDrei Windräder 3100 kWh/a
Komfortlüftung mit WärmerückgewinnungJa
Energieberechnung
Heizwärmebedarf20.4 kWh/m2 a
Wärmebedarf Warmwasser20.0 kWh/m2 a
Gewichtete Energiekennzahl20.2 kWh/m2 a
Kontakte
BauherrschaftW. Schmid + Co.
ArchitektRené Schmid Architekten AG
BaumanagementRené Schmid Architekten AG
BauphysikZehnder& Kälin AG
LandschaftsarchitektDardelet Landschaftsarchitektur GmbH

René Schmid Architekten AG
8050 Zürich
www.reneschmidt.ch

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